76 Simon schießt

Nun habe ich erstmal etwas Luft. Auch draußen ist es jetzt angenehmer als im Zug, zumal die Belüftung nicht an ist. Ich steuere geradewegs den Kiosk an und weiß buchstäblich, was ich brauche: zwei grandiose Flaschen Bier, um Simon auszuhalten und zwei Flaschen Redbull, um im Bus und auf der Fähre hellwach zu sein.


Kurz bevor ich aber den Kiosk erreiche, bemerke ich, dass ich keine Kohle dabei habe. Das ist dumm von mir. Meine Kohle in der Tasche im Zug zu lassen. Simon hat zwar keine Geldprobleme, weil sein Ernährer halb Fort Knox und ein Viertel des Ferderal Reserve Bestands besitzt. Aber wer sagt, dass das stimmt? Außerdem plündert er ja nach Dschingis-Khan-Manier seinen Vater aus. Wieso nicht dann eben mal Fremden.

Also laufe ich zurück in den Zug und wieder ins Abteil. Simon hatte es sich auf seinem Bett schon gemütlich gemacht. Er krakelt was in sein Notizbuch. Aber als er mich sieht, hopst er auf und beginnt ruckzuck was zu erzählen. Ich versuche ihm nicht zuzuhören und bin leicht genervt. Während ich die Kohle aus der Tasche raus krame, sehe ich meine Kamera. Das ist meine Chance:

„Simon shoot me!“

Er versteht natürlich erstmal nicht, was ich ihm in akkuratestem Heinrich-Lübke-Englisch sagen möchte. Aber als er die Kamera sieht, weiß er bescheid, wie Horst Schlemmer.

Ich gehe raus, um den thailändischen Gerstensaft zu kaufen.

„Two Singha and two Red Bull khrap.“

Zwei große Bier, ein großes Bier hat 630ml, sind nicht mal drei halbe Bier. Damit komme ich zweifellos über 1 Promille, aber wie lange bleibe ich darüber?

Ich will nicht lange darüber nachdenken.

„Four beer khrap!“

Das wird reichen. Ich gehe zurück zum Zug und sehe, wie Simon am Fenster wartet. Ich bleibe stehen, winke ihm zu und er schießt ein Foto.

Ich steige in den Zug wieder ein und überlege mir, was ich noch machen kann, bis der Zug losfährt. An mir laufen einige uniformierte über den Weg. Aber Uniformen machen mir nach nur einer Woche Thailand nichts mehr aus: Die gibt es überall. Mehr sorgen machen mir die Erleuchtungen Simons. Ich weiß nicht, ob alles was er mir so erzählen möchte, auch in die ganze Zufahrt passen wird. Das erinnert mich an eine Autofahrt mit einem Kollegen. Wir waren etwas mehr als vier Stunden unterwegs und er hat ständig über die Baustelle gequatscht. Nichts privates, nichts an neuem, was uns irgendwie weiter bringen könnte. Ich kenne aber nun alle Dance-Floor-Beat-Eintagsfliegen-I-ve-got-this-feeling-somebody-dance-with-me-Lieder der 1990er. OK, Simon wird mir bestimmt vieles und interessantes erzählen können. Aber wozu soll ich das alles anhören?

So, und nun: Everybody dance now!

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